Das mysteriöse „Gel“ auf Gigabytes neuen Grafikkarten – Analyse statt Alarmismus
Der heutige Artikel widmet sich einem Thema, das in den letzten Tagen für einiges an Aufmerksamkeit gesorgt hat: dem sogenannten „Thermal Conductive Gel“, das Gigabyte auf seinen aktuellen Grafikkartenmodellen einsetzt und dem Vorwurf, dieses Material laufe aus oder sei generell problematisch. Dass sich Bilder von herausquellenden Wärmeleitmitteln schnell verbreiten und für berechtigte Irritation sorgen, ist verständlich. Umso wichtiger ist es jedoch, diese Thematik differenziert zu betrachten und eben nicht gleich auf plakative Clickbait-Mechanismen hereinzufallen. So viel vorab: es ist sehr schwer pauschal zu beurteilen, da sehr viele negative Faktoren zusammenspielen müssen, aber es ist nach meinen Untersuchungen auch klar, dass so etwas durchaus passieren kann (allerdings nicht unbedingt muss). Aber das “kann” allein für sich genommen, ist bereits ein komplettes Unding bei einem solch teuren Produkt.

Ich habe mich deshalb bewusst dafür entschieden, diesen Beitrag auf einer fundierten, wissenschaftlich nachvollziehbaren Grundlage aufzubauen. Denn das eigentliche Thema ist weitaus komplexer als die bloße Beobachtung eines Materials, das sich an einer Kartenkante zeigt oder verrutscht ist. Es geht um die Frage, warum ein Hersteller wie Gigabyte einen thermischen Lösungsweg wählt, der auf den ersten Blick unnötig kompliziert und teuer erscheint, gleichzeitig aber tief in die Produktionsprozesse eingreift und nur funktioniert, wenn zahlreiche Faktoren, von der Materialwahl über die Applikationsmethode bis hin zur Kontrolle der Auftragsmenge, optimal aufeinander abgestimmt sind.

Um das bewerten zu können, reicht es nicht, sichtbare Symptome zu dokumentieren. Man muss verstehen, was diese Materialien eigentlich sind, wie sie aufgebaut sind, wie man sie verarbeitbar macht, und welche Stolperfallen sich aus dem scheinbar simplen Auftrag per Dispenser ergeben. Genau das werde ich in diesem Artikel tun – sachlich, nachvollziehbar und auf Basis eigener Messungen, Materialanalysen und mikroskopischer Untersuchungen. Denn wer Ursachen verstehen will, darf nicht bei der Oberfläche stehen bleiben.

Marketing vs. Realität
In einem zunehmend gesättigten Markt, in dem technische Unterschiede zwischen Grafikkartenmodellen oft nur noch marginal ausfallen, scheint das Marketing immer verzweifelter nach Ansatzpunkten zu suchen, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Technische Substanz weicht dabei nur allzu häufig der Fassade wohlklingender Schlagworte. Wer sich früher noch mit „Ultra Durable“ oder „Military Class“ von der Konkurrenz absetzen wollte, greift heute eben zu Begriffen wie „Server-Grade Thermal Conductive Gel“, immer in der Hoffnung, dass es nach Präzision, Hochverfügbarkeit und professionellem Anspruch klingt, auch wenn dahinter oft wenig mehr steckt als ein spritzfähiges Standardmaterial.
Dass sich die bloße Erwähnung hochwertiger PTM-Pads auf dem GPU-Die längst nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal eignet, ist eine Entwicklung, die nicht überrascht. Ich selbst predige seit Jahren die technischen Vorteile dieser Materialien, und es ist erfreulich, dass viele Hersteller mittlerweile auf diesen Weg eingeschwenkt sind. Doch genau dadurch ist der Einsatz solcher Lösungen im GPU-Bereich heute keine Ausnahme mehr, sondern vielmehr ein sinnvoller Branchenstandard. Für das Marketing verliert dieser Schritt somit an Strahlkraft, weil er sich nicht mehr spektakulär als Besonderheit verkaufen lässt.
Dafür rückt nun das Thermal Putty in den Fokus, also ebenfalls ein Thema, dem ich mich über Jahre hinweg angenommen und das ich in der Öffentlichkeit durch detaillierte Tests und praxisnahe Analysen mitgeprägt habe. Ganz umsonst tätige ich ja meinen Investitionen auch nicht. Dass dieser Trend nun vom Marketing aufgegriffen wird, ist absehbar gewesen. Doch zwischen der kontrollierten Anwendung beim Privatanwender oder im Testlabor und dem großflächigen Einsatz in einer industriellen Massenproduktion liegt eine tiefe Kluft. Was im kleinen Maßstab hervorragend funktioniert, stößt im Serienprozess an physikalische, fertigungstechnische und logistische Grenzen, wenn die Flächen so groß sind.
Im Fall Gigabyte bleibt daher die Frage im Raum, ob sich das Unternehmen bei seiner Entscheidung für ein spritzbares Thermal Putty (denn das “Gel” ist ja nichts anderes) tatsächlich aller Konsequenzen bewusst war. Die Herausforderungen beginnen bei der Auswahl eines materialsparend, aber strukturell stabil formulierten Produkts, reichen über die Abstimmung mit dem Dispenser und die exakte Dosierung bis hin zur Absicherung der Prozessstabilität über zigtausende Einheiten hinweg. Und selbst wenn all das gelingt, bleibt das Restrisiko eines Materialverhaltens, das sich erst nach Monaten im Feld offenbart, also ein Risiko, das sich mit zweckmäßig ausgewählten Pads von Anfang an vermeiden ließe.
Es wirkt rückblickend fast so, als habe man sich auf das nächstbeste Buzzword gestürzt, das sich noch nicht vollständig verbraucht hat, ohne die Tragweite zu hinterfragen. Denn das eigentliche Alleinstellungsmerkmal im Hardwarebereich ist am Ende nicht die Begriffswahl auf der Verpackung, sondern die technische Konsequenz im Detail und die zeigt sich nun einmal nicht im Prospekt, sondern unter dem Mikroskop. Ich habe Respekt vor dem Schritt, den Gigabyte gewagt hat, aber ich möchte auch meine Zweifel anmelden, dass dies so auf Dauer auch funktioniert.
Pro und Kontra
Die Umstellung auf Thermal-Putty-basierte Lösungen in der Serienfertigung ist zweifellos ein technologischer Schritt mit gutem Ansatz, der durchaus nachvollziehbare Vorteile mit sich bringt. Ziel ist es offensichtlich, die Komplexität des Kühlerdesigns zu reduzieren, indem die technisch bedingten Höhenunterschiede zwischen GPU, VRAM, Spannungswandlern und weiteren Bauteilen nicht mehr über eine Vielzahl unterschiedlich dicker Wärmeleitpads kompensiert werden müssen. Stattdessen übernimmt das Putty, mit seiner deutlich besseren Verformbarkeit und Fließfähigkeit, die Funktion eines ausgleichenden Materials. Das erlaubt eine Vereinfachung des Heatsink-Designs, reduziert die Notwendigkeit von Stufen, Unterfräsungen oder präzise gefrästen Absätzen im Kühlkörper und spart dadurch mechanische Fertigungskosten.

Ein weiterer positiver Effekt ist die Entschärfung eng gesetzter Toleranzgrenzen. Wo bislang Padstärken mit Zehntelmillimetergenauigkeit abgestimmt werden mussten, um überall einen optimalen thermischen Anpressdruck zu erzielen, erlaubt ein gut konzipiertes Thermal Putty deutlich mehr Spielraum. Der Aufbau wird robuster gegen Fertigungsschwankungen, und man kann auf fragmentierte Montagepläne mit unterschiedlichen Padgrößen verzichten. Gerade in der Großserienfertigung vereinfacht das die Prozesskette erheblich.
Allerdings bringt diese Methode auch gravierende Herausforderungen mit sich, die man nicht ignorieren kann. Der Wechsel auf Dispenser-basierte Auftragssysteme ist nicht trivial, denn er erfordert erhebliche Investitionen in Maschinen, präzise steuerbare Applikationshardware, Sensorik und Wartungskapazitäten. Das bloße Umstellen des Materials genügt nicht: Gute Putties müssen auf Viskosität, Standfestigkeit und Scherverhalten exakt abgestimmt werden, damit sie sich überhaupt fehlerfrei verarbeiten lassen. Jedes Material erfordert eigene Druckparameter, Düsenprofile, Förderzeiten und eine Justierung auf thermische und mechanische Stabilität unter Produktionsbedingungen. Und dass dann Fehler passieren können, zeigen ja der initiale Post auf Quasar Zone und die Bilder bei Techpowerup.

Hinzu kommt, dass sich durch die Verwendung von Putty die Aufwandsschiene für RMA-Fälle und Reparaturen signifikant verschiebt. Was bei Pads ein einfaches Abziehen und Neuauflegen war, wird bei viskosen Materialien schnell zur Herausforderung. Getrennte Baugruppen müssen vollständig gereinigt, von Rückständen befreit und anschließend mit exakt dosiertem Ersatzmaterial neu aufgebaut werden. Der Zeitaufwand bei der Nacharbeit steigt erheblich, ebenso wie die Fehleranfälligkeit im Servicefall.
Nicht zuletzt ist auch die Langzeitstabilität von Putty im Vergleich zu hochwertigen Pads ein potenzielles Risiko. Migration, Schrumpfung, Ausbluten oder unkontrolliertes Fließen unter Belastung können auftreten, wenn Materialwahl, Dosierung und Dispenserparameter nicht exakt abgestimmt sind. Hier zahlt sich die Vereinfachung des Kühlerdesigns im Zweifel mit späteren thermischen Problemen einfach nicht aus. Probleme, die bei einem konventionellen Aufbau mit mechanisch definierten Padstärken deutlich besser kalkulierbar gewesen wären. Denn auch die Einbaurichtung spielt eine wichtige Rolle, weil die Industrie einen orthogonalen (hängenden) Betrieb (z.B. Thermaltakes Tower 300) selten vorab testet.
Die Idee, sich durch den Einsatz von Thermal Putty mehr Toleranzspielraum und einfachere Kühllösungen zu verschaffen, ist nachvollziehbar und technologisch fundiert. Der Weg dorthin ist allerdings steinig, kostenintensiv und in seiner operativen Umsetzung voller potenzieller Fallstricke, die sowohl Fertigung als auch After-Sales erheblich belasten können. Ein guter Gedanke ist das schon, aber er ist nur dann tragfähig, wenn er mit derselben Konsequenz umgesetzt wird, mit der man ihn in Werbefolien als Fortschritt bewirbt.
Heutige Untersuchung einer Gigabyte Radeon RX 9070 Gaming OC
Die heutige Untersuchung drehte sich um eine Gigabyte Radeon RX 9070XT Gaming OC, die mir freundlicherweise von einem Leser zur Verfügung gestellt wurde. Bei dieser AMD-Karte ist die Speicherpositionierung anders als bei den NVIDIA-Karten gelöst, so dass man oberhalb des PCIe-Slots keine Flächen mit Putty vorfindet. Das muss ich der Vollständigkeit halber mit anmerken, aber es ergibt so auch gute Vergleichsmöglichkeiten. An dieser Stelle geht dann natürlich ein ausdrücklicher Dank an eben diesen Unterstützer, denn ohne ein solches Sample wäre eine tiefergehende technische Analyse dieser Karte derzeit schlicht nicht möglich gewesen. Wie einige Leser sicherlich wissen, gehöre ich bei Gigabyte offenbar nicht mehr zu den bevorzugt informierten Medienvertretern, da man kritische Berichterstattung dort offenkundig ungern sieht.
In der Folge bedeutet das, dass mir keine offiziellen Samples mehr zur Verfügung gestellt werden und auch Informationsanfragen komplett ins Leere laufen. Umso wichtiger ist der Beitrag der Community, denn nur so lässt sich weiterhin eine unabhängige, faktenbasierte und belastbare Einschätzung zu Produkten des Herstellers wie der RX 9070XT Gaming OC vornehmen. Trotz dieser bekannten Vorgeschichte werde ich die Bewertung wie gewohnt sachlich und objektiv halten, denn persönliche Befindlichkeiten einzelner Mitarbeiter interessieren mich nicht im Geringsten. Die technische Qualität eines Produkts misst sich schließlich nicht an der Laune des Marketings, sondern den Fakten.
Vielmehr möchte ich mit diesem Artikel sogar einen konstruktiven Beitrag leisten. Denn wenn ich mit analytischer Arbeit helfen kann, gewisse Entscheidungen im Produktdesign kritisch zu hinterfragen und die Ursachen konkreter Probleme nachvollziehbar zu machen, dann hilft das am Ende auch Gigabyte selbst. Vielleicht nicht sofort, aber mittelfristig auf dem Weg zu besseren Produkten. Und das ist, zumindest aus technischer Sicht, doch eigentlich das Ziel aller Beteiligten.
Und damit beziehe ich mich auch explizit auf den Teil 2 des heutigen Artikels, wo es um die Wärmeleitpaste des Grauens geht.
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