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Corsair HS55 Wireless Core im Test – Kein Kabel, kein RGB und keine echten Highlights

Messaufbau und Grundlagen

Nun schlägt die Stunde der Wahrheit, mal wieder. Der Testaufbau ist ja endlich final und die Basis bleibt das bekannte Messmikrofon, dass sich ja bereits für die In-Ears bewährt hat. Die Anregungen für die Realisierung haben ich bei Oratory gefunden und es schadet nichts, auch dort einmal vorbeizuschauen. Aber ich finde, man sollte die Headsets und Kopfhörer wirklich richtig messen und die übliche Hi-Fi- bzw. Gaming-Textwall auch mit Fakten unterlegen und nicht nur Musikstücke oder Spiele aufzählen. Subjektives Empfinden und objektive Messung im Zweiklang sollten schon Standard für Reviews sein.

Symbolbild der Station im Labor

Der komplette Messaufbau und die Methodik ist im unten verlinkten Artikel genau beschrieben. Diese redundanten Details können wir uns als sparen. Trotzdem empfiehlt es sich, diesen Artikel mindestens einmal gelesen zu haben.

Finaler Testaufbau für den Test von Kopfhörern-und Headsets – Messen statt Schätzen und die Hintergründe

Wichtiger Anhaltspunkt: Die Harman Kurve

Die sogenannte Harman-Kurve ist eine (optimale) Klangsignatur, die die meisten Menschen bei ihren Kopfhörern bevorzugen. Sie ist somit eine genaue Darstellung dessen, wie z.B. hochwertige Lautsprecher in einem idealen Raum klingen und sie zeigt den Zielfrequenzgang eines perfekt klingenden Kopfhörers. Damit erklärt sie auch, welche Pegel angehoben und welche gedämpft werden sollten, wenn man diese Kurve zugrunde legt. Damit erklären wir auch in einem Aufwasch noch den Begriff der oft zitierten „Badewannen-Abstimmung“, bei dem die Harman-Kurve jedoch völlig überzogen missbraucht und überhöht wird.

Aus diesem Grund ist die Harman-Kurve (auch „Harman-Ziel“ genannt) einer der besten Frequenzgangstandards für den Musikgenuss mit Kopfhörern, denn im Vergleich zum flachen Frequenzgang (neutrale Kurve) sind bei der Harman-Kurve die Bässe und Höhen leicht angehoben. Diese „Kurve“ wurde 2012 von einem Team von Wissenschaftlern unter der Leitung des Toningenieurs Sean Olive erstellt und veröffentlicht. Die Forschung umfasste seinerzeit auch umfangreiche Blindtests mit verschiedenen Personen, die unterschiedliche Kopfhörer testen mussten. Auf der Grundlage dessen, was sie dann mochten (oder auch nicht), fanden und definierten die Forscher die allgemein beliebteste Klangsignatur.

Die Abstimmung von Kopfhörern kann aufgrund der menschlichen Anatomie wirklich problematisch sein. Jeder Mensch hat eine etwas andere Ohrmuschel und einen etwas anderen Gehörgang, was sich darauf auswirkt, wie die einzelnen Personen bestimmte Frequenzen wahrnehmen. Im Extremfall gibt es von Person zu Person ein paar dB Unterschied, was dann auch die kleinen Unterschiede in manchen Messungen mit künstlichen Ohren erklärt. Außerdem wird der Schall, wenn er nicht absorbiert wird, von anderen Oberflächen zusätzlich reflektiert. Theoretisch wäre also auch ein Torso im Testaufbau mit einzubeziehen, aber das wäre viel zu aufwändig.

Messung des Frequenzverlaufes

Kommen wir nun zur  Messung, bei der das Corsair HS55 Wireless Core am hauseigenen Funk-Dongle betrieben wurde (helltürkise Kurve). Man sieht sehr schön eine extreme Wölbung im Tieftonbereich bis hin in den Oberbass, die sich bei mehr Anpressdruck sogar noch weiter nach links verschieben lässt. Insgesamt ist der Verlauf bis 1 KHz extrem Bass-lastig bis in die unteren Mitten hinein und mit einem Loch in den oberen Mitten, Der Bereich um ca. 2,8 KHz weist eine erste Spitze auf, die von einem Einbruch bei ca. 4 KHz gefolgt wird.

Die Spitze bei 6 KHz steht für einen leicht metallischen Klang, weil es hier auch sehr spitz zugeht. Doch dazu gleich mehr beim Hörtest. Oberhalb von 10 KHz wird es einsam und die Angabe von 20 KHz als obere Grenzfrequenz ist irreführend, denn ich musste wegen des Fehlens im Bereich zwischen 12 und 13 KHz sogar die Achse des Diagramms um 10 dB nach unten verschieben. Die 35 dB Abfall sind ein akustisches Loch, so tief wie der Bodensee.

Glättet man das Ganze jetzt einmal bis zum Anschlag, dann ergibt sich eine etwas rundere Kurve, die allerdings vor allem den Kritikpunkt beim Bass und am Superhochton bestätigt. Der Bereich der unteren Mitten ist ebenfalls leicht überpräsent, was dem Klang zu viel an Fülle und Wärme liefert, während der Hochtonbereich bis auf eine (hier ausgeblendete) Spitze so richtig schwächelt. Deutlicher kann man es eigentlich nicht ausdrücken. Wer so etwas wirklich gut findet, sollte sich besser ein anderes Betätigungsfeld suchen. Oder eben Call of Duty spielen und die Granaten selbst dann noch hören, nachdem sie schon lange explodiert sind.

Kumulative Spektren (CSD, SFT, Burst)

Das kumulative Spektrum bezeichnet verschiedene Arten von Diagrammen, die Zeit-Frequenz-Eigenschaften des Signals zeigen. Sie werden durch die aufeinanderfolgende Anwendung der Fourier-Transformation und geeigneter Fenster auf überlappende Signalblöcke erzeugt. Diese Analysen basieren auf dem bereits oben dargestellten Frequenzgangdiagramm, enthalten aber zusätzlich noch das Element Zeit und zeigen nun als 3D-Grafik („Wasserfall“) sehr anschaulich, wie sich der Frequenzgang über die Zeit hin entwickelt, nachdem das Eingangssignal gestoppt wurde. Umgangssprachlich wird so etwas auch „ausklingen“ oder „ausschwingen“ genannt. Normalerweise sollte der Treiber nach dem Wegfall des Eingangssignals ebenfalls möglichst schnell anhalten. Einige Frequenzen (oder sogar ganze Frequenzbereiche) werden jedoch immer langsam(er) abklingen und dann in diesem Diagramm als länger anhaltende Frequenzen auf der Zeitachse auch weiterhin erscheinen. Daran kann man gut erkennen, wo der Treiber eklatante Schwächen aufweist, vielleicht sogar besonders „scheppert“ oder wo im ungünstigsten Fall Resonanzen auftreten und das Gesamtbild stören könnten.

Cumulative Spectral Decay (CSD)
Der kumulative spektrale Zerfall (CSD) verwendet die FFT und ein modifiziertes Rechteckfenster, um den spektralen Abfall der Impulsantwort zu analysieren. Es wird hauptsächlich zur Analyse der Treiber-Antwort verwendet. Der CSD verwendet normalerweise nur eine kleine FFT-Blockverschiebung (2-10 Samples), um Resonanzen im gesamten Frequenzbereich besser sichtbar zu machen und ist somit ein nützliches Werkzeug zur Erkennung von Resonanzen des Wandlers.

Das Bild zeigt sehr schön das unschöne Einschwingverhalten und vor allem, den resonanzbehafteten Verlauf bis reichlich 1 KHz. Das ist kein echter, erzeugter Bass, sondern eine viel zu lang anhaltende Resonator-Orgie ohne Struktur. Signal weg, Ton weg? Mitnichten, den hier schwingt es untenherum nach, wie ein Sack gedopter Hummeln. Auch die 6-KHz-Metallpeitsche sieht man sehr schön, den es gibt auch dann noch Schrammen am Trommelfell, wenn das Signal längst verschwunden ist.

Short-time Fourier Transform (STF)
Die Kurzzeit-Fourier-Transformation (STF) verwendet das FFT- und Hanning-Fenster, um das zeitlich variierende Spektrum der aufgezeichneten Signale zu analysieren. Hier nutzt man im Allgemeinen eine größere Blockverschiebung (1/4 bis 1/2 der FFT-Länge), um einen größeren Teil des zeitvariablen Signalspektrums zu analysieren, wobei man besonders den Einsatzgebieten wie Sprache und Musik näherkommt. Im STF-Spektrum sehen wir nun auch sehr schön die Arbeit der Treiber, die sich in einigen Frequenzbereichen diverse Schwächen leisten.

Dieses „Nachziehen“ bei den niedrigeren Frequenzen unterhalb von 500 Hz ist auch hier gut sichtbar, genauso wie unsere akustische Dominaeinlage mit der Bullenpeitsche im Hochton. Unten zu klobig und oben heraus partiell zu spitz. Dafür ist der Bereich dazwischen fast komplett blutleer.

Burst Decay

Beim CSD wird der Plot im Zeitbereich (ms) erzeugt, während der hier verwendete Burst Decay Plot in Perioden (Cycles) dargestellt wird. Und während beide Methoden ihre Vor- und Nachteile (oder Einschränkungen) haben, kann man durchaus sagen, dass die Darstellung in Perioden durchaus sinnvoller sein kann, um das Abklingen eines Treibers mit einer großen Bandbreite zu bestimmen. Und auch da schneidet das Corsair HS55 Wireless Core nur sehr mittelprächtig ab. Wir sehen vor allem wieder starke Resonanzschwingungen im Hochton.

Das soll wahrscheinlich besonders „crispy“ klingen, aber es zerrt einfach nur an der Nerven, wenn man Musik hören möchte. Fürs Gaming ist es hingegen gerade noch ok, aber bei Musik hört der Spaß dann (je nach Genre) komplett auf. Das Corsair HS55 Wireless Core ist zwar laut, aber in der Summe ersetzt eine riesige Resonanz im Bassbereich echten Tiefgang und saubere Pegelfestigkeit im Tiefstbass, denn das ist einfach nur laut.

Mikrofon-Test

Der Mikrofonarm ist zum Hochklappen und ein Taster kurz vorm Anschlag mutet dann auch mit einem taktilen Feedback. Die gemessenen 13,2 cm Länge sind etwas zu  kurz geraten, um das Mikrofon wenigstens ansatzweise in die Nähe des Mundes zu bringen.  Ja, man kann es alles schwanenhalsmäßig biegen, aber es reicht nicht ganz. Die omnidirektionale Kapsel ist ziemlich taub und man muss schon die Empfindlichkeit aufs Maximum stellen, damit man noch gehört wird. Laut und deutlich geht wirklich anders.

Und das mit der Datenrate samt übertriebener Kompression hatte ich ja beim Teardown erwähnt. Erinnert sich noch jemand an den Realplayer in der frühen 2000ern? Das klang in etwa so ähnlich und nein, kein Mensch nutzt mehr analoge Modems, wenn er nicht muss. Hier könnte Ihr mal das Klangbeispiel anhören, wie es klingt, wenn das Mikrofon unter Windows mit den maximal möglichen 16 Bit bei 48 KHz eingestellt wurde. Das kommt nie im Leben an:

Zum Vergleich habe ich mal ein extrem billiges USB-Podcast-Micro mit einer etwas größeren Elektret-Kapsel genutzt. Ja, es poppt deutlich mehr bei gleichem Sprechabstand, aber der Rest spielt, bis auf das obligatorische Alibaba-Grundrauschen, in einer komplett anderen Liga:

Womit sich der Sinn des Headsets in der 130-Euro-Klasse nicht mehr so ganz ergibt und Ihr spätestens jetzt versteht, warum ich etwas enttäuscht und partiell angefressen bin. Egal ob nun Teamspeak, Discord oder Skype, die Fragen ob ich neuerdings im Keller oder auf dem Klo sitze, waren da noch die höflichsten. Es fällt anderen also auf. Aber leider nicht wie gewünscht.

 

Kommentar

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MeinBenutzername

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Die Stimme übers Mikro klingt mal alles andere als lebhaft, da fehlt ja jegliche Wärme. Da fragt man sich schon ob die Ausgabe nach der Kompression überhaupt jemand bei der Kontrolle abgenommen oder einfach nur durchgewunken hat... Kaufen würde ich vorerst nicht. :(

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Igor Wallossek

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Das liegt nicht am Micro selbst, sondern an der Kompression im Funkmodul :(

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Lagavulin

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Erst einmal vielen Dank für den Test.

Tja, das war wohl nix von Corsair. Schade eigentlich. Ich vermute mal, die produzieren nicht selbst, sondern kaufen ein oder lassen nach Specs und Kostenvorgabe produzieren. Bei Netzteilen, RAM, Tastaturen und Mäusen funktioniert das ja recht gut. Wenn ich von Beschwerden über Corsair lese, dann ist es eigentlich i.d.R. der Preis und nicht die Qualität. Hier haben sie offenbar daneben gegriffen.

Schade, dass Sharkoon keine kabellosen Headsets anbietet. Das kabelgebundene SGH50 kam in Deinem Test ja richtig gut weg. DAC+Kopfhörerverstärker können die auch. Wenn jetzt noch Bluetooth dazukommt, dann sollte da doch was gehen – und wahrscheinlich auch noch preiswerter.

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Igor Wallossek

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Corsair produziert nichts selbst. Das hier ist mal China, die guten Drahtlosen von Corsair werden bei Horn in Vietnam gefertigt :)

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Lagavulin

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226 Kommentare 181 Likes

Interessante Info. Viele schimpfen ja auf die „China-Produkte“. Produktion in Asien muss m.E. nicht schlecht sein – obschon von dort schon etliche Plagiate und „Schrott“ kommen. Kaum jemand würde wohl behaupten, dass das iPhone ein schlechtes Produkt ist, weil es in Asien produziert wird. Ich vermute, es kommt auf den Fertiger (die einzelne Firma) an. Und bei Auftragsfertigung gilt vermutlich überall auf der Welt die goldene Regel „You get what you pay for“.

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Igor Wallossek

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MeinBenutzername

Veteran

209 Kommentare 74 Likes

Hallo Igor! Ja, das es an der Kompression liegt war mir bewusst - ich habe deinen Artikel ja vollständig gelesen- war wohl etwas missverständlich ausgedrückt. :)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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