Willkommen auf der Artificially Inflated Computex 2025, einem Ort, an dem sich alles nur noch um zwei Buchstaben zu drehen scheint: AI. Die Messehallen in Taipeh gleichen derzeit einer Theaterbühne für die ultimative Überinszenierung eines Schlagworts, das mittlerweile jede Logik über Bord geworfen hat. Was früher mit nüchternem Technologiefortschritt begann, ist heute ein einziges Buzzword-Bingo – inklusive Hochglanzpanels, LED-Wänden, cosplaytauglichen Avataren und Keynotes mit prophetischer Miene.
Was nicht mit „AI“ beginnt, endet zumindest damit. „AI Memory“, „AI Infrastructure“, „Next-Level AI PC“, „AI Ready BIOS Update“, „AI Fan Control“, „AI Keyboard Tuning“ – ja, selbst der Reinigungstrupp der Halle hätte vermutlich noch das Label autonomes AI-Wischen verpasst bekommen, wenn man es sich nur hätte trauen dürfen. Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ wird hier nicht mehr differenziert verwendet, sondern inflationär eingesetzt wie Glitzer in einem Influencer*innen*außen-Gesicht: Hauptsache es glänzt, egal ob es passt.
Was ist ein AI PC? Eine Wasserkühlung mit neuronalen Ambitionen? Ein Mainboard, das meinen emotionalen Zustand erkennt, wenn man das BIOS zerschießt? Oder nur ein ganz normaler Gaming-PC mit einer RTX 5070, der dank drei Zeilen Python im Hintergrund jetzt den Thermozustand meiner RGB-Beleuchtung „intelligent optimiert“?
Auch ASUS lässt sich da nicht lumpen: „Ubiquitous AI“ prangt über dem Stand wie eine Offenbarung. Das ist ungefähr so konkret, als würde man „Allgegenwärtige Existenz“ auf einen Toaster schreiben. Dahinter: Großbildschirme mit halbtransparenten, pseudowissenschaftlich animierten Zellmodellen, die suggerieren sollen, dass man hier wohlmöglich an der Lösung des Alterns arbeitet. Spoiler: Man stellt weiterhin auch noch Notebooks und Router her.
Und Supermicro? Die machen wenigstens keinen Hehl daraus, dass es ihnen primär um Rechenzentren und Server geht – aber auch hier wird aus jedem Edge Device ein „AI-optimierter Node“, als ob ein kleiner Skriptblock die globale Energiebilanz ins Positive kehrt.
XPG hingegen setzt auf ein anderes AI-Konzept: Anime Intelligence. Die überlebensgroße, vollbusige Hologramm-Dame am Stand erklärt mir zwar nichts zur Speicherlatenz, aber sie lächelt wenigstens dabei, während sie mit glühenden Augen auf ein fiktives Cyberpunk-Hochhaus zeigt. Vermutlich die neue Zentrale von OpenAI.
Und wer glaubt, wenigstens im DIY- und Enthusiastenbereich wie bei ASRock oder Keychron sei man vor der AI-Plörre sicher, der wird eines Besseren belehrt. Auch hier gibt es jetzt AI-gesteuerte BIOS-Flashing-Tools, AI-optimierte Overclocking-Profile und AI-Tastaturmakros, die automatisch erkennen, ob man gerade ein Game oder seine Scheidungspapiere tippt.
Wer 2025 in Taipeh mit einem Produkt aufläuft, das nicht mindestens einmal das Wort „AI“ im Titel, Untertitel oder Packaging trägt, riskiert offenbar die sofortige Degradierung zum Fossil der Industrie. Aber keine Sorge: Auch dafür gibt es sicher bald ein KI-gestütztes Rebranding-Tool.
Und bis dahin? AI you later.
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