Audio Kopfhörer Testberichte

Beyerdynamic Amiron Home im Test – Entspannter HiFi-Kopfhörer nicht nur fürs Wohnzimmer

Messung des Frequenzverlaufs

Kommen wir nun zur bereits im Vorwort angedrohten angekündigten neuen Messung. Ich habe den Frequenzverlauf zwar weiterhin bei 1 KHz auf 0 dB normiert, so dass man einerseits gut den Gesamtverlauf mit allen Zugaben und Frequenzabfällen bewerten kann und andererseits auch nicht ganz die Vergleichsmöglichkeit zu vorangegangenen Messungen verliert. Aber es ist trotzdem anders, weil ja die Glättung auf eine halbe Oktave wegfällt. Das alles sieht dann natürlich deutlich „hibbeliger“ aus, passt aber auch wesentlich besser zur Realität. Denn eines ist auch klar: es gibt sie nicht, die ideale Kurve. Zumal sie im Falle des Amiron Home noch nicht einmal gewollt wäre.

Wie sehen ein leichtes V, also die Anhebung im Bassbereich, sowie den Beyer-typischen Peak im Hochtonbereich. Das ist so gewollt und kann einen bei anderen Modellen des Herstellers auch schon mal bis zur Weißglut bringen. Nicht so der Amiron Home, dessen sehr gefällige und sehr smarte Überbetonung im Superhochton vor allem dezenten Streichern und Percussion-Elementen entgegen kommt. Der Peak setzt beim Amiron Home zudem deutlich über den Sibilanten ein, so dass die menschliche Stimme davon nicht beeinflusst wird. Dazu sage ich gleich noch etwas, denn die normale Badewanne sieht anders aus und hört sich auch anders an.

CSD (Cumulative Spectral Decay)

Die Kurven der spektralen Zerfallsanalyse bieten weitere sehr nützliche Informationen über die Leistung der verbauten Treiber. Diese Analyse basiert auf dem bereits oben dargestellten Frequenzgangdiagramm, enthält aber zusätzlich noch das Element Zeit und zeigt nun als 3D-Grafik („Wasserfall“) sehr anschaulich, wie sich der Frequenzgang über die Zeit hin entwickelt, nachdem das Eingangssignal gestoppt wurde. Umgangssprachlich wird so etwas auch „ausklingen“ oder „ausschwingen“ genannt.

Normalerweise solltender Treiber nach dem Wegfall des Eingangssignals ebenfalls möglichst schnell anhalten. Einige Frequenzen (oder sogar ganze Frequenzbereiche) werden jedoch immer langsam(er) abklingen und dann in diesem Diagramm als länger anhaltende Frequenzen auf der Zeitachse auch weiterhin erscheinen. Daran kann man gut erkennen, wo der Treiber vielleicht besonders „scheppert“ oder wo sogar Resonanzen auftreten und das Gesamtbild stören könnten.

Das Bild beim Amiron Home ist gut, man sieht aber auch sehr schön, wo das Sounding ansetzt. Die Nadeln der leichten Hochtonpeitsche im Superhochton zwischen ca. 7 und 9,5 KHz setzen sich auch hier fort und bleiben faktisch etwas länger im Ohr. Im Verhältnis zum erreichten Pegel ist dieses Verhalten aber dann auch bereits zu relativieren, denn bei 1 ms ist auch der letzte Piepser wieder verschwunden, nur der Oberbass und das Fundament darunter darf noch etwas ausrollen. Wie so etwas deutlich schlechter geht, werden dann die nächsten Tests einfacherer Kopfhörer zeigen, wobei ich Euch hier mal ein Beispiel eines 80-Euro-Headsets nicht vorenthalten möchte:

Was man dem Amiron Home bescheinigen kann und sogar muss, ist ein nahezu grandioses Einschwingverhalten, denn selbst der trockenste Impuls kommt ohne anzusetzen sofort und aus der Hüfte auf den Punkt. Die Treiber sind extrem fix und in der Summe schleppt sich auch nichts nach. Die Impulstreue muss man loben, auch wenn es im Preisbereich darüber noch bessere Exemplare gibt. Kevin-Klaus Normalhörer wird das dann aber schon gar nicht mehr unterscheiden können. Impulsgetreue Hatz ist also gegeben, was sich nicht nur kernig liest, sondern auch genauso anhört.

Subjektives Hörerlebnis

Testen wir nun auch subjektiv, was man im Original am Ohr anliegen hat. Ich habe den Amiron Home schon über längere Zeit privat sehr intensiv genutzt, was selbst den hartgesottensten Einspiel-Fanatikern den Wind aus den Segeln nehmen dürfte, denn es kommen weit mehr als 200 Betriebsstunden zusammen.

Basswiedergabe

Den Tiefstbass in der Subkontraoktave (16,4 Hz bis 32,7 Hz) testen mit einer Aufnahme von Bachs Toccata und Fuge D-Moll (19 und 25 Hz) sowie der Festival-Ouvertüre 1812 von Tschaikowsky (10 Hz und 12,5 Hz). Das gleiche gilt auch für die unteren Bereiche der Kontraoktave (32,7 bis 65,4 Hz). Die große Basstrommel (Kick Drum), die in der U-Musik ein gern gesehener Begleiter und meist auf ca. 55 bis 60 Hz abgestimmt ist, wird diese Beurteilung dann abrunden.

Der Bass ist gut, sehr tief und niemals auch nur ansatzweise schwach, ohne aber dabei sinnlos laut oder überpräsent zu wirken. Er ist einfach da, Punkt. Die Subkontraoktave ist der kellermäßige Sahneklecks, auch wenn bestimmte, klitzekleine Details in der warmen Fülle unterzugehen drohen. Der Vorteil der gefundenen Abstimmung ist zudem, dass sowohl staubtrockene, als auch samtweich grummelnde Inhalte gleichermaßen gut wiedergegeben werden. Und dann staunt man auch immer wieder, weil man plötzlich Unreinheiten im Bass hört, die nicht an den Kopfhören, sondern bereits am Material liegen und die ein normaler Kopfhörer glatt zuschmiert und damit höflich verdeckt. Der Amiron Home ist somit natürlich kein Puncher, aber trotzdem kein auch kein Weichei und vor allem eines: grundehrlich.

Der Oberbass bis 150 Hz, in dem auch die Große Oktave (65,4 bis 130,8 Hz) liegt, beherbergt die Sprachgrundfrequenz der männlichen Stimme und entscheidet sehr stark über die naturgetreue Wiedergabe männlicher Vocals.

Dieser Bereich klingt absolut natürlich und selektiv, was vor allem die Sprachwiedergabe männlicher Stimmen zu einem Erlebnis der anderen Dimension macht. Diese Vocals sind in ihrem Volumen geradezu unlimitiert und wirken sehr natürlich. Der gesamte Bassbereich bis hin zum Oberbass spielt souverän, warm und auch prägnant, ohne dabei die oberen Mitten oder den Hochton brutal wegzudrücken. Was die Tesla-Treiber wirklich können, ist die naturgetreue Wiedergabe eines sehr breitbandigen Klangteppichs, wo kein Bereich den anderen meuchelmordend zu entsorgen versucht.  Die Instrumente stehen den Vocals in nichts nach und beim Gaming hat man den üblichen Schlachtenlärm als fetten Ohrstopfer, ohne aber den Rest damit zu übertünchen. Ich hatte bisher kein Gaming-Headset, auch nicht das MMX 300, das ähnlich souverän von unten nach oben spielt.

Mitteltonbereich

Die unteren Mitten (auch Grundtonbereich) liegen bei ca. 150 bis 400 Hz. Zusammen mit dem bereits erwähnten Oberbass spielt dieser Bereich eine sehr wichtige Rolle für die subjektiv empfundene Wärme bzw. Fülle des Klangbildes. Die Sprachgrundfrequenz weiblicher Stimmen ist in diesem Bereich zu finden.

Weibliche Vocals stehen den Männlichen in nichts nach und wenn man sich den Kurvenverlauf der Messung anschaut, weiß man auch warum. Die leichte Betonung bis hin zur 1-KHz-Marke verschafft dem Amiron Home eine subjektiv empfundene Wärme, die nicht nur angenehm ist, sondern auch dazu beiträgt, dass man auch nach Stunden des Hörens nicht entnervt aufgibt. Nennen wir es Balsam für die Ohren, denn das Gebotene ist in dieser Preisklasse ganz vorn mit dabei und man schlägt den T 90 um Längen, was schon etwas heißen will. Die Auflösung ist zudem frei von jeder Kritik.

Die oberen Mitten zwischen 400 Hz bis etwa zwei KHz beinhalten bei einem KHz eine Marke, die immer noch als Referenz für viele Messungen gilt. Das merkt man leider auch oft bei günstigeren Geräten, da die Hersteller oft versuchen, gerade diese Frequenz etwas überzubetonen. Auch beim Gaming spielt dieser Bereich keine unbedeutende Rolle und eine ausgewogene Wiedergabe trägt nicht unwesentlich zu einer guten räumlichen Auflösung bei.

Im Gegensatz zum DT 1990 Pro kuschelt sich hier der Amiron Home eher in den Sessel, anstelle mir im Stile eines Klangdetektivs auch noch das letzte missratene Detail einer Aufnahme hysterisch kreischend um die Ohren zu hauen. Nein, analytisch ist das alles nicht, darf es eigentlich im heimischen Hi-Fi-Bereich auch gar nicht sein. Es ist trotzdem alles da, und man hört im akustischen Notfall den gleichen tonalen Unfug, wie auch beim Studiokopfhörer, nur eben nicht als prägnante Ohrfeige, sondern als gutgemeinten Hinweis. Die Ortung ist gut, wenn auch die Abstimmung keine übertrieben breit aufgespannte Bühne erlaubt. Hier sind sogar die die MMX 300 deutlich weiter aufgestellt. Auch die Tiefenstaffelung ist erst einmal nicht so extrem, wie man es vielleicht vermuten könnte.

Man muss genauer (und länger) hinhören, bevor einem dieser vermeintliche Nachteil sogar als cleverer Schachzug erscheint. Denn man sitzt quasi nicht im Orchester, sondern gleich hinterm Dirigenten in Reihe Eins. Die Ortung einzelner Instrumente (oder Quellen) fällt am Ende sogar eindeutiger aus, weil es natürlicher ist. Fürs Gaming ist die Bühne mehr als ausreichend bemessen und immer noch besser als fast alles, was man bis 150 Euro so bekommt. Aber sie ist sicher nicht das, was sich Chantal-Cheyenne für 600 Euro so erträumt. Musik möchte ich eigentlich nie wieder anders hören, nur beim Gaming setze ich dann doch lieber wieder auf die großen Nubert nuPro samt Subwoofer, wobei da natürlich auch die Messlatte schon arg hoch hängt.

Hochtonbereich

Zwischen zwei bis etwa 3,5 KHz ist das menschliche Gehör am empfindlichsten, zumal dieser Bereich der unteren Höhen für die gute Oberton-Wiedergabe der menschlichen Stimme zuständig ist. Dieser Frequenzbereich ist nämlich entscheidend für die Wiedererkennung einer Stimme oder eines Instrumentes; man spricht in diesem Zusammenhang auch von der jeweiligen Klangfarbe.

Der kleine Peak bei ca. 1,5 KHz stört nie auch nur ansatzweise und auch die kleine Delle bei 3,5 KHz klingt fast schon wie so gewollt, denn gerade sie färbt vieles im Oberton sehr warm und weich. Alle Vocals und Instrumente bleiben trotzdem natürlich und werden sehr souverän in Szene gesetzt. Es ist die Abrundung einer klanglichen Auslegung, die entspannter und nonchalanter kaum sein könnte.

Die mittleren Höhen (3,5 bis sechs KHz) entscheiden über das Ge- oder Misslingen der Sprachwiedergabe als Gesamtbild, denn die S- und Zischlaute (Sibilanten) fallen in diesen Bereich. Die oberen Höhen reichen dann bis ca. zehn KHz, um in den Superhochton überzugehen.

Ab jetzt geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Die Sibilanten werden sehr sauber geformt, ohne einem das Ohr abzukauen. Doch exakt darüber haben die Toningenieure wieder ihrem berühmt-berüchtigten Affen (Rum-getränkten) Zucker gegeben. Der Peak Beyer bekommt also einen neuen Eintrag in sein Gipfelbuch, wenn auch diesmal eine alternative Route genommen wurde. Ausblasgeräusche, zischend-wischende Jazzbesen und andere Sound-Hochgewächse laufen zur Höchstform auf und selbst eine leise winselnde Violine findet noch den Weg ins Gehörzentrum des erstaunten Zuhörers. Sehr verhaltenen eingespielten Töne werden zwar durch den Peak etwas stärker nach vorn geholt, bleiben dann aber wenigstens auch haften, weil sie nicht eben nicht vom Tiefton in den tonalen Ozean weggespült werden. Dieser Peak ist quasi der Rettungsanker für gar zu leise geratene Töne, die man eigentlich nach einer Weile in dieser Interpretation gar nicht mehr missen möchte.

Zusammenfassung und Fazit

Mit dem Amiron Home ist Beyerdynamic ein eher samtig-weicher und sehr warm abgestimmter Hi-Fi-Alleskopfhörer gelungen, der sich keine wirklichen Schwächen leistet und sogar im Vergleich zum ohnehin schon guten T 90 noch neue Akzente setzen kann. Das ist am Ende einfach nur entspannt-legeres Sesselkuscheln im heimeligen Hochpreis-Ambiente des Beyer-Hotels mit ehrlich eingepreister Wohlfühlgarantie. Da ist nichts billig vergoldet oder zu dick aufgetragen, sondern das Gesamtobjekt stylisch dem Zeitgeist angepasst worden. Auch wenn nicht jeder die Interpretation mögen mag, sie ist so locker-entspannt, dass man sie nie wirklich in Frage stellt.

Gut , was weh tun könnte, wäre durchaus der Preis. Aber Herrschaften – es werden alle ein bis zwei Jahre nicht weniger Euro in Grafikkarten investiert, deren Halbwertszeit die von Bananeneis mittags um 12 Uhr in Dubai auf der Spitze des Burj al Arab noch locker unterbietet. Hier aber bekommt man ein 5-Jahre-Garantie-Produkt mit Langzeit-Faktor und einer fast schon unbegrenzten Verfügbarkeit an Ersatzteilen und Zubehör. Rechnet man den Anschaffungspreis mal anteilig um auf die Jahre, die man hier echtes Vergnügen haben kann, dann gibt es fast schon nichts Günstigeres. Und das Beste daran: Kopfhörer werden auch bei neuen Spielen und Musikstücken nie langsamer, sondern reifen sogar noch mit dem Alter.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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